Urbanes Fahrradfahren

In einigen Städten Europas hat sich in den letzten Jahren punkto Fahrradfreundlichkeit echt was getan. Amsterdam, welche lange als die Fahrradstadt überhaupt galt, wurde in unseren Augen längst durch andere Städte überholt. Zwar gibt es dort immer noch zigtausend Fahrräder mehr als Einwohner, doch in diesem Bericht geht es nicht nur um die Quantität.

Irgendwie logisch: Jede grössere Stadt hat ein Problem mit dem Verkehr. Also, Autos raus, Velos rein. Nicht, dass dies das ganze Verkehrschaos löst, aber immerhin führt es zu einem positiven Effekt. Kopenhagen hat sich diesem Thema, wie viele andere auch, angenommen und wurde 2017 zur Bike-friendliest City gekürt (Quelle). Dazu muss man auch sagen, dass da Kopenhagen nicht Ellenlängen voraus ist, Antwerpen, Rotterdam, Strassbourg, Utrecht, Freiburg etc. - Städte, die wir ebenfalls besucht haben - können da ganz gut mithalten.

Wir haben uns aber gefragt, was Kopenhagen denn so zum Radfahrer-Mekka macht.
In unseren Augen braucht es zwei Dinge: A muss das Radfahren sicher sein und B muss man schneller sein können als mit dem ÖV oder mit dem Auto.

Wie hat man denn nun copenhagenized?

  • Umplanung der Radwege, weg von den Hauptverkehrsstrassen
  • wenn möglich getrennte Radwege oder zumindest breiter Seitenstreifen. Auf bestehenden Strassen heisst das teilweise auf Kosten des Fahrstreifens für Autofahrer
  • weiter sogar Radschnellwege mit super Infrastruktur (prioritärer Schneeräumung, Pumpen, Abfalleimer bei den Ampeln auf perfekter Höhe, Fusshalter bei den Ampeln, damit man nicht absteigen muss (das gab es wirklich! Ist vielleicht auch etwas übertrieben, aber praktisch)
  • fliessender Verkehr (d.h. Ampeln müssen schnell auf grün wechseln)
  • gute Beschilderung
  • Fahrrad-Abstellmöglichkeiten
  • Fahrradverleihsystem (sogar E-Bikes inkl. Tablet mit Navi)
  • Einfaches und effizientes Umsteigen in Nahverkehr
  • Und zu guter Letzt auch Disziplin: Nicht nur zum links und rechts abbiegen, sondern auch wenn man anhalten will ist ein Handzeichen angebracht. Das vergisst man so schnell nicht wenn man einfach mitten auf dem Radweg stoppt und dich 20 andere Radler fast überfahren
E-Bike Station in Kopenhagen

E-Bike Station in Kopenhagen

In Freiburg fuhren wir z.B. fast kein einziges Mal auf einer normalen Strasse, sondern immer nur auf Fahrradwegen, die teilweise sogar schön an einem Fluss (Dreisam) entlang führen, fernab von der verkehrsreichen Strasse. Das war der erste Eindruck von einer perfekten Fahrradstadt. Wenn man an der Ampel wartet und plötzlich tonnenweise Radfahrer auf einem zu kommen, kann dies aber schon fast ein bisschen Angst einjagen, vor allem wenn man sich in der Stadt nicht auskennt. Bis Kopenhagen haben wir uns aber definitiv an dieses Gefühl gewöhnt und sind ein bisschen enttäuscht, wenn es nicht viele Radfahrer hat. Im Gegensatz zu Bern sind die Radfahrer auch ein wenig entspannter unterwegs. Hier wird man nicht gleich angeschnauzt, wenn man an der roten Ampel anhält oder sich an die Verkehrsregeln hält. Auch tragen nur etwa die Hälfte der Radler einen Helm, wenn überhaupt. Und E-Bikes gibt es auch, aber fast ausschliesslich diejenigen welche nicht schneller als 25 km/h fahren. Die schnelleren sind nämlich nicht auf allen Radwegen erlaubt.

Der "Black Market" auf der Fahrrad-Schnellstrasse

Der "Black Market" auf der Fahrrad-Schnellstrasse

Fun facts:

  • 50% aller Kopenhagener fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit oder in die Uni
  • 25% aller Familien mit zwei Kindern haben ein Cargo Bike, um die Kinder zum Kindergarten zu bringen oder um einzukaufen
  • 1.2 Millionen Kilometer legen die Kopenhagener jedes Jahr mit dem Rad zurück. Dies ist eine Reise zum Mond und zurück…zwei Mal! Als Vergleich: mit der Metro werden nur 660’000km zurückgelegt.
  • Im Zentrum von Kopenhagen gibt’s mehr Velos als Einwohner. 520'000 Einwohner, 560'000 Velos
  • Die weltweit meistbefahrene Radroute ist Dronning Louises bro in Kopenhagen. Hier fahren täglich bis zu 36'000 Fahrräder lang
  • 63% aller dänischen Mitglieder des Parlaments, welches im Stadtzentrum liegt, pendeln mit dem Rad
    Quelle
Fahrrad und Fussgänger Brücke

Fahrrad und Fussgänger Brücke

Fahrt durch die vorbildlichen Radwege von Kopenhagen
Irgendwie ist hier alles anders

Wir können es uns an dieser Stelle nicht verkneifen, auch ein paar Vergleiche zwischen unserer letzten Radreise in Nordamerika und dieser hier zu machen.

Klar, die Spontanität der Amis ist einfach einzigartig. In Europa kommt es schon seltener vor, dass wir von wildfremden Leuten aus lauter Neugier angesprochen werden. Ausser in Schweden. Ähnlich wie in Italien spielt es hier keine Rolle ob wir die Sprache sprechen oder nicht. Hauptsache einfach mal weiter drauflos quasseln obwohl wir kein Wort verstehen. Mit Händen und Füssen klappt die Verständigung manchmal doch (oder auch nicht…). So kommt es dann auch mal vor, dass wir nur für einen Refill unserer Trinkflaschen auf dem Weg fragen und uns dann glatt angeboten wird, im Garten zu übernachten und mit den Gastgebern zu grillen.

Auch auf dem Campingplatz ist so einiges anders: von der Grösse der Wohnmobile mal ganz geschwiegen. Die Europäer gehen morgens in ihren kuscheligen Morgenmänteln (wussten gar nicht, dass man sowas noch kaufen kann) zu den Sanitätsräumen um ihre «Morgentoilette» zu erledigen. Und in Frankreich und Deutschland fahren die dann noch mit ihren E-Bikes bis dorthin. Allgemein, E-Bikes überall soweit das Auge reicht.

Im Fahrstuhl im Sint-Annatunnel, Antwerpen, warten wir mit unseren Bikes auf Licht am anderen Ende.

Die Campingplätze sind bis jetzt meistens teurer als noch in den USA, dafür gibt es in Skandinavien oft eine Küche. Weiter südlich konnten wir von Glück reden, wenn es überhaupt eine Sitzmöglichkeit gab. Eine Küche zu haben ist eine gute Sache, wenn man wie heute z.B. mal wieder eine Pizza essen möchte anstelle von Pasta, Reis, Bulgur whatsoever. Im Allgemeinen kochen wir bei auf dieser Reise eher gesünder als beim letzten Mal. Hier ist es bis jetzt einfacher an frisches Gemüse zu kommen und auch bei der Zubereitung geben wir uns mehr Mühe. «Gourmet on the Road» …

Verkehrsfreie Radwege führen uns durch die Dünen entlang der Küste Hollands.

Ein anderes Thema sind die Radwege. Das ist einer der Gründe, weshalb wir in Europa reisen wollten. Nordamerika war landschaftlich atemberaubend und wir sind extrem froh, haben wir den Pacific Coast Trail gemacht. Doch von einem Trail konnte man nicht wirklich reden. Meistens waren wir auf der «Shoulder», sozusagen dem Pannenstreifen des Highways unterwegs.

Radweg direkt am Meer - besser könnte es nicht sein.

Radweg direkt am Meer - besser könnte es nicht sein.

Wir konnten von Glück reden, wenn der Verkehr mal nicht allzu heftig war. In Kalifornien war der Trail etwas Radfahrerfreundlicher, aber da gibt es noch viel zu tun. In Europa sind wir bisher meistens entweder auf ganz separaten Radwegen, auf verkehrsarmen Nebenstrassen und ab und zu mal auf Hauptstrassen mit Velostreifen. Ganz extrem wurde es in Nordbelgien und den Niederlanden. Läck haben die da schöne Radwege.

Es fällt auf, dass das Radnetz im Norden sehr gut ausgebaut ist

Es fällt auf, dass das Radnetz im Norden sehr gut ausgebaut ist

P.S. wir danken auch ganz herzlich unseren Warmshowers-Hosts. Das ist eine tolle Sache, wenn man mit dem Rad unterwegs ist. Eine Art Couchsurfing für Radler: www.warmshowers.org

Jetzt geht’s los!

Am 8. Mai sollen wir also unser geliebtes zuhause verlassen. Der Abschied von Freunden und Familie fällt natürlich nicht leicht. Vor kurzem haben wir erst richtig realisiert, dass wir keinen Job und keinen Wohnsitz mehr haben werden. Es beginnt ein neuer Alltag.

Im ersten Moment kommt uns der Start vor wie eine kleine Velotour am Sonntagvormittag. Ein paar Kilometer pedalieren, damit wir am Nachmittag unser wohlverdientes Bierli ins Lago Lodge trinken gehen können. Doch diesmal ist es keine Rundtour. Wann, dann eher eine sehr grosse Runde.

Der Jura ist gemein, gleich am ersten Tag verlangt uns die Strecke schon viel ab. Trotzdem – der Jura ist und bleibt ein unheimlich schöner Fleck der Schweiz.

Ab Basel radeln wir erst dem Rhein auf der deutschen Seite entlang hoch bis nach Freiburg und wechseln dann ins Elsass, durch Colmar, Strassbourg und weiter bis nach Luxembourg. Danach geht es in Richtung Belgien. Wir besuchen auch da wunderschöne Flecken wie Dinant, Brügge oder Löwen. Brüssel würden wir eher nicht als wunderschön bezeichnen, dafür umso schöner, dass uns unsere Freundin Rahel übers Auffahrtwochenende besuchen kam.

Die Distanzen hier im Westen sind sehr klein zwischen den Ortschaften. Es gibt viel zu sehen und zu besuchen. Daher haben wir bisher eher kürzere Tagesdistanzen absolviert, damit wir Nachmittags jeweils noch etwas Sightseeing machen oder bei einer grösseren Stadt noch einen Zusatztag anhängen können. Wie sich das auf unsere Planung auswirkt werden wir noch sehen.

Bis Brüssel haben wir schon viel erlebt, sind tagtäglich etwas fitter geworden und haben nette Menschen kennengelernt. Sei es auf dem Land oder in der Grossstadt, bisher waren immer alle sehr freundlich zu uns und haben uns weitergeholfen, falls unser Bauchgefühl nicht der gleichen Meinung war wie das Navi.

Von «Viel Erfolg» über «Ihr seid aber mutig» und «Ig gloube nid dass dir das bis ans Nordkapp schaffend» haben wir auf alle Fälle schon alles gehört. Lassen wir uns überraschen ob der «Fährimaa vo Basel» recht behält oder ob wir Mitte Sommer unsere Füsse im kalten Meer beim Nordkapp baden!

Ich packe in meinen Koffer...

Wer sich auf eine längere Radreise vorbereiten will, der setzt sich auch frühzeitig mit dem Thema Material auseinander. Sogar wir als Last-Minute-Kofferpacker machen dies. Ist ja auch doof, wenn man 5 Tage nach dem Start merkt, dass das Kopfkissen wohl doch zu viel Platz frisst, oder die Herr der Ringe Hardcover Bücher-Kollektion etwas schwer ist um sie auf das Velo zu packen.

Also machen wir eine Liste. Die Liste ist lang und enthält alles, was uns wichtig erscheint (also persönlich, nicht allgemein). Dann wird die Liste durchgeackert: brauchen wir das wirklich? Gibt’s das kleiner oder leichter? Kann man es substituieren?

Bei der letzten Reise haben wir folgende Erfahrung gemacht: wichtig ist, dass wir für Notfälle ausgerüstet sind. Eine Erkältung ist kein Notfall, da braucht man keine Salben oder Medikamente. Wenn wir dringend etwas brauchen, dann kann dies bestimmt auch bis zum nächsten Ort warten. Gleich verhaltet es sich mit dem Ersatzmaterial. Wenn die Kette reisst, ist es sicher gut, wenn man diese mit einem Kettenglied wieder flicken kann. Eine Ersatzkette braucht man deswegen nicht.

Und dann die Kleider: die müssen alle in einer (!) grossen Saccoche platz finden. Mit Ausnahme der Regenklamotten und der Schuhe. Es empfiehlt sich, die Kleider in Wasserdichten Kompressionssäcken zu verstauen, sie sind zwar dann nicht mehr knitterfrei, aber platzsparend. Zudem gilt bei den Kleidern das Zwiebelprinzip: also Schichten statt x-unterschiedliche Jacken mitzuschleppen. Dann kommen noch Dinge dazu wie Kochutensilien, Nahrung, Apotheke und Hygieneprodukte, Bücher, Kamera, Elektronikzeugs und all die tausend Ladegeräte die es dafür braucht, Zelt, Schlafsäcke, Matten und noch Kleinkram. Alles zusammen sieht dann so aus:

Auslegeordnung

Anschliessend wurde all das in die Taschen gepackt und gewägt. Pro Velo macht dies rund 30kg, die wir nun zusätzlich den Berg hochstrampeln müssen.

Abfahrbereit
Vorfreude
(n.) the joyful, intense anticipation that comes from imaging future pleasures

Jawohl, wir sind gespannt wie ein Pfeilbogen, welch Abenteuer uns diesmal erwartet. Und die Vorfreude darauf steigert sich, je näher der Tag X rückt.

Oft werden wir gefragt, ob wir denn die Route schon geplant haben, ob wir denn wüssten welche Länder wir bereisen werden. Doch das Planen der Route steht nicht mal so sehr im Vordergrund. Die ergibt sich dann von alleine wenn man dann unterwegs ist.

Unter Planung versteht man viel mehr die eher öde Seite, welche mit der Reise an sich noch nicht viel zu tun hat. Sozusagen das notwendige Übel, damit man überhaupt so eine Reise über ein Jahr antreten kann. Darunter fallen sexy Themen wie zum Beispiel Job, Wohnung, Billag, Internetanschluss, Krankenkasse, Versicherungen, Mitgliedschaften etceteraetcetera künden. Post umleiten, bei der Gemeinde abmelden, dem Steueramt klar machen, dass man nun nicht mehr in der Schweiz wohnhaft sein wird, aber deswegen auch nicht auswandert in ein anderes Land, also sozusagen nur temporär weg ist…und ja, trotzdem MUSS man eine Adresse im Ausland angeben. Das im digitalen Zeitalter, pffft!

Aber zum Glück sind auch diese Sachen alle früher oder später erledigt und es kann endlich losgehen.