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Der neue Westen

Viele haben schon davon gehört, ein paar waren vielleicht sogar schon da, aber die meisten wohl nicht. Es geht um die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Alle drei waren bis 1990/91 Mitglieder der Sowjetunion und haben sich nacheinander unabhängig erklärt. Dies, nachdem 1989 bereits der Drang nach Freiheit in Form einer Menschenkette demonstriert wurde, die mit ca. 650km von Vilnius über Riga bis nach Tallinn reichte. In 2004 sind die Baltischen Staaten dann der EU beigetreten.

In der Altstadt von Tallinn

In der Altstadt von Tallinn

Fangen wir oben an mit Estland, genauer gesagt der Hauptstadt Tallinn. Hier erhalten wir einen ersten Vorgeschmack was uns die nächsten Wochen erwarten wird. Regen. Viel Regen. Doch zum Glück ist das nicht das einzige. Zum Sightseeing lässt sich die Sonne doch noch blicken und wir kommen in den Genuss der wunderschönen mittelalterlichen Altstadt. Auf der Walking Tour erfahren wir, dass die estnische Sprache dem finnischen ähnelt. Finnisch ist also gar nicht so einzigartig wie wir immer gedacht haben. Dafür hat Estnisch praktisch gar nichts mit den anderen baltischen Sprachen gemeinsam. Auch erfahren wir etwas ganz Wichtiges, und zwar ist der höchste Berg vom Baltikum in Estland. 318m! Sie sind sich bewusst, dass dies jetzt nicht mal so hoch ist, aber immerhin ganze 6 Meter höher als der höchste Berg in Lettland.

Die Häuser auf dem Land sehen alle etwa ähnlich aus

Die Häuser auf dem Land sehen alle etwa ähnlich aus

Während der Sowjetzeit war auch der KGB sehr aktiv. Zum Beispiel mussten alle ausländischen Besucher in Tallinn während des Aufenthalts in einem bestimmten Hotel wohnen. Dieses war natürlich von oben bis unten verwanzt. Nur war das Ganze ein offenes Geheimnis. So soll anscheinend einer Schauspielerin im Hotel das WC-Papier ausgegangen sein und sie habe extra laut geseufzt «Wenn ich doch nur WC-Papier hätte». Wenig später stand ein Angestellter mit einer neuen Rolle vor der Türe.

In Estland kann vieles elektronisch abgewickelt werden, von der Steuererklärung bis zur Abstimmung. Hierzu benötigen sie nur ihre ID und eine Authentisierung, das wars schon. Dies hat dem Land den Spitznamen «E-Stonia» gebracht. Auch bei anderen Themen wollen sie vorne mit dabei sein, z.B. ist hier der EuroVelo Weg toll beschildert und wir finden den richtigen Weg auf Anhieb. In Tallinn jedenfalls kommen wir uns vor wie in einer anderen Stadt im westlicheren Europa, es gibt viele Touristen und natürlich alles was des Touristen Herz begehrt. Restaurants, Souvenirläden und so weiter. Kaum aus der Stadt fällt aber auf, dass längst nicht alles auf Hochglanz poliert ist. Die meisten Häuser, viele Plattenbauten, sehen aus als hätten sie vor 50 Jahren das letzte Mal einen neuen Anstrich gekriegt und der Verputz blättert überall ab. Trotzdem sind praktisch alle Häuser bewohnt. Dies ist in allen drei Staaten ähnlich. Eine andere Gemeinsamkeit, welche uns sofort aufgefallen ist, sind die Autos. Jeder hat einen super Schlitten und dies obwohl die Durchschnittseinkommen immer noch sehr tief sind (zwischen 700 und 1000 Euro). Die Autos gelten hier, wie auch in ganz vielen anderen Ländern, als Prestige-Objekt. Je grösser und teuer, umso besser. Dass dafür zuhause noch wie zu Zeiten des Kommunismus gelebt wird, ist dabei zweitrangig.

Vorbildliche Beschilderung der Radwege. Hier ausserhalb von Tallinn

Vorbildliche Beschilderung der Radwege. Hier ausserhalb von Tallinn

Kommen wir zu Lettland. Landschaftlich sieht es hier ziemlich ähnlich aus wie in Estland. Mit dem Unterschied, dass wir hier zum ersten Mal etwas mehr im Landesinneren fahren. Da geht es einmal (!) bergab und wieder bergauf und zwar bei Sigulda. Unsere verwöhnten Waden finden das nicht so toll. Oder war es die lange Wanderung mit den unendlich vielen Treppen? Wie auch immer, in Lettland gibt es viel zu sehen. Vor allem Burgen und Schlösser, aber auch schöne Strände an welchen wir teilweise ganz alleine unterwegs sind. Die Hauptstadt Riga ist eine Geschichte für sich. In die Stadt zu kommen ist mit dem Fahrrad gar nicht so einfach. Vor dem Stadtzentrum hat es keine Radwege und es ist nicht immer klar wo wir jetzt genau fahren müssen um einigermassen sicher in die Stadt zu kommen. Wenigstens hat es von unserem Hostel aus fast den ganzen Weg ins Zentrum einen Radweg welcher schon fast als intuitiv bezeichnet werden könnte. Der Kern von Riga ist ziemlich herausgeputzt. Nur sind die beiden Fassaden des Schwarzhäupterhauses in ein Baugerüst eingehüllt. Die Sehenswürdigkeiten verstecken sich wohl gerne vor uns.

Eine der zahlreichen Burgen, hier in Sigulda

Eine der zahlreichen Burgen, hier in Sigulda

Das Schwarzhäupterhaus wird gerade renoviert

Das Schwarzhäupterhaus wird gerade renoviert

Auch unterwegs kann es mal vorkommen, dass jemand von uns krank wird oder sogar beide zusammen sich zu wenig fit fühlen um zu fahren. Also sind wir zwischendurch auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen um trotzdem vorwärts zu kommen um möglichst schnell Richtung Süden (Wärme) zu kommen. So auch in Lettland. Wieder Erwarten lief alles ganz unkompliziert ab und wir konnten unsere Fahrräder samt Gepäck im Kofferraum des Busses verstauen. Manche Sachen sind bei uns einfach unnötig kompliziert (oder z.B. in Schweden, hier dürfen im Zug keine Fahrräder mitgenommen werden!). Dieses «einfach machen» gefällt uns hier.

Unkompliziert: Fahrradtransport im Bus

Unkompliziert: Fahrradtransport im Bus

Auch in Litauen waren wir auf den ÖV angewiesen, hier wollten wir von der Küste bis in die Hauptstadt kommen mit Zwischenstopp beim Berg der Kreuze. Da der Zug nicht so häufig fährt, ist dieses Unterfangen gar nicht so einfach umzusetzen. Wir entscheiden uns für eine Kombination zwischen Schnellzug und nicht ganz so schnellem Zug. Der erste Zug ist top ausgestattet, sogar mit Wifi. Bei der Weiterfahrt haben wir nicht mehr so viel Glück. Der Zug ist uralt und wir dürfen unsere Räder fünf Stufen hochbugsieren und irgendwie zwischen den Sitzen einklemmen. Das Zugpersonal zuckt nicht mal mit der Wimper als sie unsere Räder sehen. Wir sind wohl nicht die ersten… 

Beim Berg der Kreuze

Beim Berg der Kreuze

Ein weiteres Beispiel von Unkompliziertheit gibt es in Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Der Bürgermeister hatte kurzerhand beschlossen, dass die Stadt fahrradfreundlich umgebaut werden soll. Diese wurde dann auch umgesetzt. D.h. in der ganzen Stadt kommt man super mit dem Rad von A nach B. Der einzige Faktor welcher nicht berücksichtigt wurde ist, dass die Vilniusser wohl einfach nicht so gerne mit dem Velo fahren. Radfahrer haben wir jedenfalls praktisch keine gesehen.

Radfahren in Vilnius

Radfahren in Vilnius

Nach dieser regnerischen Zeit im Baltikum und dem nicht so freudeerregenden Wetterbericht in der Region Polen, helfen wir etwas nach um schneller in die Wärme zu kommen. So fliegen wir Anfang Oktober von Vilnius nach Italien, wo wir unsere Reise an der Adriaküste fortsetzen werden.

Vor dem Flug müssen wir noch Bikeboxen für den Transport im Flugzeug organisieren. Natürlich werden diese mit dem Fahrrad in die Unterkunft gebracht.

Vor dem Flug müssen wir noch Bikeboxen für den Transport im Flugzeug organisieren. Natürlich werden diese mit dem Fahrrad in die Unterkunft gebracht.

Kurzes Video mit ein paar Ausschnitten unserer Route durch das Baltikum